1988 nahm die UNESCO die Strassburger Altstadtinsel „Grande Ile“ in die renommierte Liste des Weltkulturerbes der Menschheit auf. Diese enthält ausgewählte Kultur- und Naturstätten von ausserordentlicher universeller Bedeutung. Die Altstadtinsel ist der historische Kern Strassburgs. Sie wird von der Ill (Zufluss des Rheins) eingeschlossen und ist über 21 Brücken und Stege mit dem Rest der Stadt verbunden. Auf der Insel befinden sich verschiedene bedeutende Monumente. Die UNESCO begründete die Aufnahme der „Grande Ile“ in ihre Liste mit der bis in die Römerzeit zurückreichenden Existenz und ihrer Entwicklung vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Im Juli 2017 erweiterte die UNESCO die Welterbe-Klassifizierung auf die Strassburger Neustadt. Dieses zwischen 1871 und 1914 nach der Annexion durch Preussen sozusagen aus dem Nichts erbaute Stadtviertel verdreifachte die Stadtfläche und galt als Vorzeigeviertel des Reichslands Elsass-Lothringen.
Die Neustadt zeichnet sich durch die Einheitlichkeit und aussergewöhnliche Qualität ihrer Architektur und ihres städtebaulichen Konzepts – mit seinem ausgeprägten Sinn für Landschaft und weite Perspektiven – aus, welches das architektonische Ensemble ausgezeichnet in Szene setzt. Das Ergebnis ist eine moderne und funktionale Stadt, welche den technischen Fortschritt und die Hygienepolitik an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert abbildet. Damit wird Strassburg auf eine Ebene mit Berlin und Paris gestellt, welche in dieser Zeit ebenfalls eine bedeutende städtebauliche Entwicklung durchlaufen.
Auf einer 90-minütigen Rundfahrt auf dem Elektroboot «Naos» von Batorama können wir zusammen mit Skipper Alain die Stadt vom Wasser aus erkunden. Bis zu elf Passagiere passen ins schnittige Wassertaxi. Lautlos schippern wir am europäischen Parlament, dem Palast der Menschenrechte und an der Paulskirche, dem Hafen von Strassburg und den architektonischen Highlights an der «Quai des Alpes» vorbei. Die Kosten für 90 Minuten belaufen sich auf 270 Euro. Dieses Erlebnis ist jeden Cent wert. Alain macht seinen Job seit 30 Jahren. Er kennt Szenerien und Gebäude und weiss zu fast jedem Ort oder Bauwerk eine Geschichte zu erzählen. Selbstverständlich kann man einen Aperitif mit Freunden dazu buchen oder bei einem exklusiven Firmenanlass elsässische «Crands Crus» verkosten. Auf der lll erlebt man 20 Jahrhunderte Geschichte. Das Boot zieht durch Kanäle, vorbei an historischen Stätten wie dem alten Zollhaus, dem Gerberhaus, den gedeckten Brücken und vorbei am Vauban-Wehr. Imposant und erlebnisreich.
Der Stadtbummel bringt uns auch an einigen Highlights anderer Natur vorbei: Wir treffen Mireille Oster, welche voller Leidenschaft lukullische Freuden in Form von Pain d’Epices (Honig- oder Pfefferkuchen) herstellt und verkauft. Ein Wunder von Vielfältigkeit der gewonnenen Eindrücke verzaubert unseren Gaumen. Mireille führt den Betrieb in 3. Generation. Sie war mit ihren 44 unterschiedlichen Lebkuchen in jeder wichtigen Grossstadt auf der Weltkugel zu Gast. In New York zum Beispiel hat sie am Weihnachtsmarkt innerhalb von zehn Tagen 1.2 t Pain d’Epices am Broadway verkauft. Wow. In Strassburg gibt es zwei Standorte, an welchen rund um die Uhr nachhaltig produziert wird. Um die nicht nachlassenden Gelüste der Einwohner, Studenten und Touristen auch während der Hochsaison von September bis Januar stillen zu können, sorgen bis zu 50 Mitarbeiter für kontinuierlichen Nachschub. Selbstverständlich auch für alle Kenner des E-Shops. Herrlich. Ebenfalls in Petit France lernen wir Sophie Peirani kennen. Sie ist «Créateur» von originellen Hüten und Modeschmuck. Wir kommen nicht umhin, bei ihr einen Hut zu erstehen, welchen sie innerhalb von 24 Stunden in ein individuell angepasstes Modell mit persönlichen Extras verwandelt. Bravo.
Einen «Chocolatier exclusive» nennt sich Weiss, von «bean to bar» lautet sein Motto. Dort werden Kakaobohnen verarbeitet und in faszinierende, einzigartige Schokolade verwandelt. Die Metamorphose bringt mannigfaltige Köstlichkeiten zum Vorschein: Pralinen, Schokoladentafeln, Napolitains und Nips, von edelsüss bis zartbitter und fruchtig, die sich herrlich zu heisser Schokolade schmelzen lassen. Eine Weiss Spezialität sind die mit Krokant aus Mandeln und Haselnüssen ummantelten Pralinen, in prächtigen Pastellfarben und aus der Manufaktur in St. Etienne. Fünf Filialen in Frankreich beschäftigen inklusive der Produktion 115 Mitarbeiter. Der Elsässer Pionier Eugène Weiss gründete 1882 seinen Firmensitz. Bis heute richtet sich der Erfolg nach dem Motto: «Wenn sie glauben, dass wir hier aufhören… kennen sie uns nicht richtig». Wir sind ob der Vielfalt und dem Wissen der Mitarbeiter erstaunt. Die Qualität der Schokolade ist «extraordinaire».
An der «Grand Rue» finden wir das «L’Epicier Grand Cru». Ein sagenhafter Probierteller mit zehn Sorten bestem Käse wartet auf uns. Die Chefin Valérie ist Sommelière, weiss also perfekt, welcher regionale Wein zum Käse passt. Uns mundet der frische Saft aus Rhabarber ausgezeichnet. Das Basilikum-Gelee passt so hervorragend, dass wir gleich ein Glas mit in die Schweiz nehmen.
Unweit der imposanten Kathedrale liegt der Spezialitätenladen «Mon Oncle Malker de Munster». Dort werden lokale Spezialitäten aus vorwiegend eigener Produktion verkauft: eine Vielzahl an Käsen wie zum Beispiel der bekannte «Munster», Butter aus Rohmilch, Würste von Tieren des eigenen Hofes, Weine und eine Vielzahl an Köstlichkeiten heimischer Bäckereiern. Herrlich.
Wir sind unzählige Kilometer auf unseren Füssen durch Gassen und Strassen gelaufen, sodass wir uns für die nächsten Strecken von «Jean-Charles», dem Inhaber von Cyclorama, für eine «Rickscha Tour» abholen lassen. Eine 60-minütige Fahrt kostet 65 Euro. Jean-Charles weiss alles über die Stadt und deren Vergangenheit. Er fährt uns gekonnt durch Strassen und über Plätze und erklärt uns auf Deutsch alles Wissenswerte. Seine spannenden Anekdoten lassen uns die Zeit vergessen. Die Eindrücke von der Stadt und dem Guide sind überzeugend. Ein Muss für jeden, welcher Strassburg nicht nur zu Fuss erkunden will. Bravo.
Unser Hotel «Le Bouclier d’Or» befindet sich im Herzen des Viertels «La Petite France». Mitten in dem Stadtteil, wo sich täglich zehntausende von Touristen auf dem Kopfsteinpflaster durch die Gassen schlängeln.
Bei der Ankunft nimmt man uns die Autoschlüssel ab, und wir müssen uns bis zur Abreise nicht mehr um unser Fahrzeug kümmern. Top. Das 4-Sterne Anwesen verfügt über 22 Zimmer und Suiten. Es strahlt Charme und Charakter aus. Das Mobiliar ist mehrheitlich antik oder zumindest alt. Wuchtige Renaissance- und elsässische Schränke sind sowohl in den Zimmern als auch in den öffentlich zugänglichen Räumen in Gebrauch. Die Wendeltreppe gegenüber der Reception stammt aus dem 16. Jahrhundert. Wir erhalten das rollstuhlfähige Zimmer Nummer 1, welches direkt an der sehr belebten Rue des Dentelles liegt. Zwei Fenster zeigen unmittelbar auf diese Strasse, was uns dazu zwingt, Fenster, Fensterläden und schwere Brokatvorhänge immer geschlossen zu halten – zu viel Lärm dringt sonst ins Schlafzimmer. Wer gewohnt ist, die Nacht bei offenen Fenstern zu verbringen, hüte sich vor der Nummer 1. Das Zimmer ist ansonsten gross, hat dem Alter des Anwesens entsprechend hohe Räume, Stuckaturen, einen schweren Kleiderschrank und ein für Frankreich eher ungewöhnlich grosses, bequemes Kingsize Bett. Die Minibar steht auf dem Boden. Ein Wasserkocher, samt Instantkaffee und Tee werden kostenlos im Zimmer angeboten. Die Klimaanlage hat dank den moderaten Frühjahrstemperaturen ihren Dienst ausreichend verrichtet. Bad und Dusche sind ebenfalls gosszügig angelegt und bieten den erwarteten Komfort. Ein Doppelspülbecken mit Schminkspiegel ist ebenso vorhanden wie zwei Bademäntel Grösse XL. Auf Wunsch wird mir meine passende Grösse nachgeliefert.
Als Fauxpas erachten wir den grauen, fleckigen Teppich vor dem Bett, welcher auch stilmässig nicht ins Zimmer passt. Ansonsten ist das Zimmer sauber und standesgemäss.
Sehr positiv überrascht hat uns das sagenhafte Frühstücksbuffet: eine riesige Auswahl an frischen Broten, Brötchen, Croissants, Süssgebäck, Kuchen, Brioche, Muffins mit flüssigem Schokokern, frischen Brombeeren und Erdbeeren, Mandarinenmarmelade, Käse, Wurstwaren, Rührei, Speck, Cremes – kurz, alles was das Herz begehrt ist von perfekter Qualität am Buffet vorhanden. Wir bestellen eine kalte Schokolade, welche in ebenso ausserordentlicher Qualität – nämlich nicht zu süss – serviert wird. Bravo. Im Untergeschoss haben die Eigner Déborah und Denis Jung ein kleines, heimeliges Spa «Ecrin du Bien-Etre» eingerichtet. Im Whirlpool, Dampfbad und Sauna können Gäste (auf Voranmeldung) den erlebnisreichen Tag bis 22 Uhr genussvoll ausklingen lassen. Jeder Tag wird zum Erlebnis, mit Abenteuern, welche mit einem Schritt vor die Tür des Hotels beginnen. Cool.
Nebst Fahrrädern steht ein weiteres, futuristisches Verkehrsmittel bereit. Unterschiedliche «Segway» Touren werden von One City Tours angeboten. Yves und sein Team stellen sicher, dass jeder Gast eine ausführliche Info und Schulung auf dem Gefährt erhalten. Dann geht’s los – ab durch Fussgängerzonen, entlang der Ill und Kanälen, hinüber zur Neustadt, zum Kaiserplatz durch den Botanischen Garten, in welchem etliche Störche nisten, und zurück via Europaparlament. Ein passendes Video finden Leser auf www.jauslin.net. Es bereitet Freude und macht unglaublich viel Spass, auf diese Art und Weise Strassburg kennenzulernen.
Essen
Wir kennen kaum eine Stadt, in welcher so viele Restaurants, Cafés, Weinstuben und Bars anzutreffen sind. Drei davon haben wir genau unter die Lupe genommen:
Chez Yvonne, unweit der Kathedrale, ist eine traditionelle Winstub mit einem kreativen Chef, Serge Cutillo. Er und sein Team, bestehend aus acht Mitarbeitern, verzaubern die traditionelle Küche in ein Erlebnis, welches Feinschmecker zu schätzen wissen. Wir essen zuerst gebratenen Spargel, warme Entenleber und Kräuterseitlinge zusammen mit einem Tonic-Sorbet, mit diversen Kräutern hergestellt. Herrlich, diese Komposition. Danach kosten wir ein «Elsässer Sushi», eine Gänseleber mit einer Wurst und einem dunkelgrünen Gemüseblatt ummantelt. Herrlich schräg. Uns schmeckt diese Kreation ganz speziell mit dem scharfen Dijon Senf. Jetzt versuchen wir eine Scheibe Presskopf, ein Schweinefleisch Gelee mit Gewürzen, Salaten und Co. Naja, nicht wirklich unser Geschmack – aber heimisch. Das zarte Kalbfleisch mit Wurzelgemüse und roter Bete bereitet uns wesentlich mehr Gaumenfreuden. Frische, fast rohe Erbsen werden dazu serviert. Toll. Den grossen, typischen Elsässer Spezialitätenteller schaffen wir fast nicht mehr. Sauerkraut, Kartoffeln, Speck und dreierlei Würste zieren die Platte. Wir nehmen dazu Senf und Meerrettichpaste. Nach einem herrlichen Dessert versichern wir, dass die traditionelle Elsässer Küche alles andere als leicht bekömmlich ist. Chef Serge versteht es hervorragend, die herkömmlichen Speisen zu verfeinern – aber klassisch zu servieren.
La Hache gehört Jérôme Fricker und Gilles Egloff, zwei bekannten Gastronomen, welche in Strassburg sieben Häuser führen. Wir dinieren in einem «Bistronomique» und werden individuell betreut. Freundlich empfängt uns der Direktor Hicham und geleitet uns zu unserem Tisch. Auch hier ist der elegante Speisesaal bis auf den letzten Platz gefüllt. Auffallend viele Studenten und junge Gäste essen mit uns im Bistro. Nur wer eine Reservation getätigt hat, kann das Essen von Chef Alexandre Haudenschild geniessen. Zuerst bekommen wir die Spezialität des Hauses serviert: «Tartare de Boeuf». Das Filet ist von Hand geschnitten, gewürzt und hat Biss. Es schmeckt mit dem frischen Baguette ausgezeichnet, obwohl wir Toast und Butter gewohnt sind. Ich würde es sehr schätzen, wenn ich analog der Garstufe beim Fleisch, die Schärfe hätte wünschen können. Anschliessend geniessen wir feine Kalbfleischpastetchen mit ausnahmslos frischen Zutaten und eine würzige, lokale Wurst mit Kartoffelstock und Fleischreduktion. Beides schmeckt perfekt. Als Nachspeise kosten wir eine Panna Cotta aus Pistazien mit einer Reduktion aus Erdbeeren und Orangenblüten. Eine wunderbare Erfahrung für unsere Geschmacksknospen. Für Weinliebhaber liegen über 50 ausgesuchte Weine in der «Cave» bereit. Auch bei den Speisen erkennen wir Kontraste zwischen Moderne und Tradition. Daran können wir uns gewöhnen.
Le Purgatoire, zu Deutsch das Fegefeuer, befindet sich im Stadtteil Krutenau und wird hauptsächlich von Einheimischen und Studenten besucht. Das Credo: Kleine unterschiedliche Portionen mit Freunden oder Familie teilen.
Wir haben noch ein zusätzliches Zückerchen anzubieten: Das «Bain Municipaux» ist eine Trouvaille ersten Grades. Mit viel Liebe zum Detail wurde dieses öffentliche Bad restauriert und überzeugt mit seinen Schwimmbecken unterschiedlicher Grössen und seinem Charme. Innen und Aussen-Sauna, Salzgrotten und Jacuzzi sind täglich bis 20 Uhr für jedermann offen. Bis jetzt noch ein Geheimtipp.
Unser Fazit nach vier Tagen Strassburg: Die Stadt bietet unerwartet viele Möglichkeiten. Man kann sich tagelang verweilen, shoppen, erholen, Ausflüge geniessen und die Umgebung tags und nachts unsicher machen. Das Münster, die astronomische Uhr, la Petit France oder die Neustadt, einst glorreiche Vorzeige-Hauptstadt, welche dem Kaiserreich und dem deutschen Volk zum Ruhm gereichen sollte, muss man unbedingt gesehen haben.
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